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2. Bundesliga Kevin Pezzoni

"Ich wollte keine Vertragsauflösung, sondern Schutz"

Kevin Pezzoni wurde von Kölner Hooligans attackiert und fürchtete um sein Leben. Nun spricht er erstmals über seine Angst und und erhebt schwere Vorwürfe gegen seinen früheren Klub 1. FC Köln.

Kevin Pezzoni, 23, hat freundliche braune Augen, eine Strubbelfrisur, und wenn er aufgeregt ist, stößt die Zunge ein wenig an. So soll also ein Feindbild aussehen? Für ein paar Anhänger des 1. FC Köln ist er das. Vor zwei Wochen tauchten sie sogar vor seiner Haustür auf, im Netz drohten sie ihm. Anschließend wurde der Vertrag des Kölner Abwehrspielers aufgelöst. Im "gegenseitigen Einvernehmen", wie es vom Verein hieß. Im exklusiven Interview mit der "Welt am Sonntag" widerspricht er.

Welt am Sonntag: Herr Pezzoni, kennen Sie Daniel Bauer?

Kevin Pezzoni: Das ist doch der Spieler aus Magdeburg, bei dem auch ein paar Chaoten vor der Tür standen, oder?

Welt am Sonntag: Genau. Ende 2011 war das. Er hat wie Sie seinen Vertrag aufgelöst.

Pezzoni: Ich habe von seiner Geschichte gehört. Die Parallelen zwischen uns sind offensichtlich. Offenbar gehört das mittlerweile irgendwie dazu bei gewissen Fans. Wobei das ja keine Fans sind. Vor echten Fußballfans habe ich höchsten Respekt. Den Typen vor unseren Türen ist nichts heilig. Wenn die dich fertig machen wollen, dann machen sie das.

Welt am Sonntag: Was geschah am 28. August?

Pezzoni: Das war einen Tag nach unserer 0:2-Niederlage in Aue. Ich war mit meiner Freundin in meiner Wohnung. Wir haben ferngesehen, es war zwischen acht und neun Uhr abends. Plötzlich habe ich von draußen Stimmen gehört: ,Pezzoni, du Wichser, komm raus, wir machen dich fertig.‘ Ich habe aus dem Fenster geschaut und habe fünf Männer gesehen, die vor dem Haus standen. Sie hatten die Mützen tief ins Gesicht gezogen, sodass ich ihre Gesichter nicht erkennen konnte. Ich habe das Fenster zugemacht und mich zurückgezogen. Sie haben dann noch ein bisschen rumgepöbelt, aber es war auch relativ schnell wieder vorbei. Darum habe ich mir auch nicht so viele Gedanken gemacht.

Welt am Sonntag: Und dann?

Pezzoni: Am nächsten Morgen habe ich an meinem Auto einen Zettel gefunden: ,Pass auf, wenn es dunkel wird‘. Da war ich echt erschrocken. Ich habe davon unserem Trainer Holger Stanislawski erzählt und mit ihm darüber gesprochen, welche Ausmaße die Anfeindungen gegen mich mittlerweile angenommen haben.

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Welt am Sonntag: Meinen Sie den Nasenbeinbruch, den Ihnen ein Fan im Februar bei einer Karnevalsfeier zugefügt hat?

Pezzoni: Nein, nicht nur. Vielmehr, dass sich die Dinge immer mehr hochschaukeln. Nach dem Aue-Spiel war ich in der Fankurve und wurde aufs Übelste beleidigt, als "Missgeburt" und "Wichser" beschimpft. Ich wurde von den eigenen Fans angespuckt. So krass hatte ich das noch nie erlebt. Ich habe kein Problem damit, wenn wir nach einem schwachen Spiel ausgepfiffen werden. Aber das war eine andere Dimension. Das war purer Hass.

Welt am Sonntag: Was hat Stanislawski gesagt, als Sie ihm das erzählt haben?

Pezzoni: Er war erschüttert. Wir sprachen darüber, ob es Sinn macht, wenn ich in dieser überhitzten Atmosphäre im kommenden Spiel auflaufe. Ich war ohnehin gehemmt, hatte Angst vor jedem Fehlpass und den Pfiffen. Stanislawski meinte, dass man eine Lösung finden müsse. Das war auch meine Meinung.

Welt am Sonntag: Und dann haben Sie Ihren Vertrag aufgelöst.

Pezzoni: Nein. Ich wollte nie meinen Vertrag auflösen. Der Vorschlag wurde vom Verein an mich herangetragen.

Welt am Sonntag: Der Kölner Manager Jörg Jakobs sprach doch von einer "Lösung im besten gegenseitigen Einvernehmen".

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Pezzoni: Das ist seine Formulierung. Ich hatte gehofft, dass die Verantwortlichen sich hinter mich stellen und versuchen, mich zu schützen. Eigentlich sollte ein Verein dazu in der Lage sein, seine Spieler vor den Fans zu schützen. Das war in diesem Fall nicht so.

Welt am Sonntag: Wie lief die Vertragsauflösung ab?

Pezzoni: Die Vereinsverantwortlichen haben sich wohl beraten und dann den Vorschlag unterbreitet, den Vertrag aufzulösen. Das war für mich ein schwerer Schlag. Für mich bedeutete das zum einen, plötzlich arbeitslos zu sein, und zum anderen, einen Verein zu verlassen, in dem ich fast fünf Jahre gespielt habe und der mir trotz allem ans Herz gewachsen ist.

Welt am Sonntag: Warum sind Sie dann auf das Angebot eingegangen?

Pezzoni: Letztendlich wollte ich nicht in einem Verein bleiben, der mir in solch einer Situation die Trennung anbietet, anstatt für mich zu kämpfen. Was hätte ich zu erwarten gehabt? Meine Situation wäre ja nicht besser geworden. Wer weiß, ob nach dem nächsten schlechten Spiel die Typen plötzlich in meiner Wohnung gestanden hätten statt nur davor.

Welt am Sonntag: Was hätten Sie sich konkret vom Verein gewünscht in Ihrer Situation?

Pezzoni: Ich hätte mir jemanden wie Bayern-Präsident Uli Hoeneß gewünscht. Als die Bayern-Fans damals Manuel Neuer attackiert haben, hat Hoeneß sich vor ihn gestellt und für ihn gekämpft. Mir wurde in einer ähnlichen Situation die Vertragsauflösung angeboten. Ich habe das Gefühl, so sollte ein unangenehmes Thema auf einfache Weise beendet werden.

Welt am Sonntag: Wieso sollte man Sie loswerden 8wollen?

Pezzoni: Frank Schaefer (Leiter Sport des 1. FC Köln, d. Red.) hat am Dienstag gesagt, dass sich der Verein schon länger mit dem Thema beschäftigt hat. Das ist doch widersprüchlich. Erst hieß es, die Vertragsauflösung war spontan und einvernehmlich. Nun war es angeblich schon länger geplant. Für mich wirkt es so, als ob auf eine günstige Gelegenheit gewartet wurde, um mich loszuwerden.

Welt am Sonntag: Sie deuteten an, dass Sie für die Fans zum Sündenbock wurden.

Pezzoni: Ja, so war es leider. Ich wurde nach und nach zum Buhmann. Richtig krass wurde es, nachdem mir im Februar im Karneval die Nase von einem Betrunkenen gebrochen wurde. Danach wurden die Beleidigungen immer persönlicher. Plötzlich war ich ein Feindbild. Ich hatte manchmal das Gefühl, nichts mehr richtig machen zu können, es wurde 8%ja eh gepfiffen. Vielleicht entstand durch den Vorfall im Karneval das Gefühl, ich würde nur auf Partys gehen. Dabei stimmt das überhaupt nicht. Ich trinke nicht mal Alkohol. Aber ich war in dieser Schublade drin und kam nicht mehr raus. Plötzlich war der Hass da. Nehmen Sie die Facebook-Gruppe, die gegründet wurde …

Welt am Sonntag: … namens "Pezzoni aufmischen".

Pezzoni: Da wurde gedroht, mich zu erschießen oder mir die Beine zu brechen. Als ich Donnerstag zum Training kam, standen da Polizisten. Da wusste ich noch nicht, dass die wegen mir da waren. Der Verein hatte mir nicht mitgeteilt, dass es im Internet einen Aufruf gab, mich um 15.30 Uhr dort zu "empfangen". Zum Glück hatten wir erst um 18 Uhr Training.

Welt am Sonntag: Sie hatten Angst.

Pezzoni: Ja, schon seit Längerem. Seit mir die Nase gebrochen wurde, bin ich vorsichtig, wenn mir im Dunkeln eine Gruppe Männer entgegenkommt. Dann gucke ich lieber weg. Meine Freundin ist zuletzt abends mit dem Hund rausgegangen, weil sie nicht wollte, dass ich das tue.

Welt am Sonntag: Die Angriffe auf Sie waren nicht die einzigen Vorfälle. Hat Köln ein grundsätzliches Fan-Problem?

Pezzoni: Das ist schwer zu beantworten, weil der FC mein erster Profiverein ist. Ich bin da reingewachsen, für mich ist so etwas fast normal. Aber andere Spieler, die gewechselt sind, berichten von ganz anderen, ruhigeren Verhältnissen. Eigentlich darf es ja auch nicht sein, dass Spieler Angst vor den eigenen Fans haben. Wir mussten uns mitunter verstecken, unsere Frauen mussten uns nach Auswärtsspielen von geheimen Orten abholen, weil am Geißbockheim wütende Fans warteten. Da muss ich sagen: Liebe hin, Liebe her, aber Fußball ist nur Fußball. Das Leben an sich ist so viel mehr. Das sollte man für Fußball nicht aufs Spiel setzen.

Welt am Sonntag: Kölns Präsident Werner Spinner sagte: "Für uns ist es ein ehernes Gesetz, dass der FC sich mit allen Möglichkeiten für seine Spieler einsetzt."

Pezzoni: Da muss ich wohl nicht viel zu sagen, oder? Wenn ich diese Unterstützung gespürt hätte, wäre ich heute noch in Köln.

Welt am Sonntag: Wurde in der Mannschaft über das Thema Gewalt diskutiert?

Pezzoni: Ja, oft. Als es bei mir heftiger wurde mit den Anfeindungen, haben mir viele Mitspieler ihre Unterstützung zugesagt: ,Kevin, wenn was ist, ruf einfach an, dann kommen und helfen wir dir.‘

Welt am Sonntag: Mit welchem Gefühl gehen Sie?

Pezzoni: Ich bin sehr traurig. Ich bin mit 18 Jahren zum FC gekommen. War gleich Stammspieler, bin in die Bundesliga aufgestiegen. Aber ich habe ungefähr sieben Trainer und fünf Manager erlebt. Es war einfach keine Kontinuität im Verein. Trotzdem habe ich mich durchgebissen und hatte tolle Zeiten. Ich bin überzeugt, dass die Mannschaft wieder Erfolg haben wird. Und ich hoffe, die Verantwortlichen lernen etwas aus der Sache.

Welt am Sonntag: Kann der Verein die Probleme mit den Fans in den Griff bekommen?

Pezzoni: Das weiß ich nicht. Ich kann leider nicht ausschließen, dass es schon bald den Nächsten treffen wird. Ich befürchte, ich war nur ein Kapitel für die Chaoten. Jetzt schlagen sie das nächste auf. Wenn sie nicht aus dem Verkehr gezogen werden, werden sie weitermachen und den Verein kaputt machen.

Welt am Sonntag: Das hört sich ohnmächtig an.

Pezzoni: Ja, vielleicht. Ich habe hier halt fast nie Schutz, fast nie Unterstützung gespürt. Nur Christoph Daum hat mich damals gefördert. Und jetzt Holger Stanislawski. Stani hat mich im Urlaub angerufen und mir erzählt, wie er hier eine neue, junge Mannschaft aufbauen will. Es ist so ein tolles Gefühl, wenn plötzlich jemand sagt: ,Ich baue auf dich, Pezzo, ich unterstütze dich.‘ Da sind mir fast die Tränen gekommen. Ich dachte wirklich, jetzt wird alles gut. Das war dann aber leider nicht so. Die Fans haben das nicht zugelassen. Stanis Schutz hat nicht gereicht. Im Gegenteil: Als er sich hinter mich gestellt hat, wurde er selbst attackiert. Das tat mir sehr leid für ihn.

Welt am Sonntag: Am Mittwoch haben Sie die Täter angezeigt. Wieso erst so spät?

Pezzoni: Ich war ein paar Tage in der Schweiz, wollte die Sache erst mal sacken lassen. Dann habe ich zusammen mit meinem Anwalt beschlossen, juristisch gegen diese Menschen vorzugehen. Allein schon, um ein Zeichen zu setzen.

Welt am Sonntag: Hat der Verein Ihnen dazu geraten, wie es verlautbart wurde?

Pezzoni: Nein.

Welt am Sonntag: Wie geht es nun weiter?

Pezzoni: Ich versuche, so schnell wie möglich einen neuen Verein zu finden, alles hinter mir zu lassen und neu anzufangen. Ich will allen zeigen, dass ich gut bin.

Welt am Sonntag: Sie haben noch eine Wohnung in Köln.

Pezzoni: Ja, aber die steht leer. Nach Köln kehre ich nur zurück, um den Umzug abzuwickeln.

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